Familie Schnieder/Wedding/Tiefrenger

Tiefrenger's Familiengeschichte

 Meiner Frau Anni, den Kindern Käte und Norbert und allen Geschwistern, Neffen und Nichten = 1956 =


Unser Vater hatte zu meiner Zeit einen recht zweckmäßigen Aktenkasten aus Holz mit Schiebedeckel zur Aufbewahrung der Urkunden über unsere Familienvorgänge und der Zusammensetzung der einzelnen zu unserem Erbhofe gehörenden Grundstücke „Auf dem Tie“. Unsere Vorfahren bis zu unserem Vater hatten diese alten und zum Teil aus den früheren Jahrhnderen stammenden Schriftstücke jeweils von gut geübten Kanzleibeamten in Dülmen mit besonders klaren Handschrifen auf gtutem Dokumentenpapier schreiben und fortlaufend durch wichtige Vorgänge ergänzen lassen. Wo diese unersetzliche Dokumentensammlung geblieben ist, habe ich leider nicht feststellen können.

Wir Nachfolger haben es jedoch immer versäumt, die Entwicklung unserer Generationen weiter zu erforschen und uns darüber gegenseitig zu unterrichten. Weil nun aber die alten grundlegenden Urkunden fehlen, ist es jetzt nicht mehr möglich, auf die Frühzeit unserer Familiengeschichte zurück zu greifen und darauf eine neue Chronik aufzubauen. Als Ältester unserer Zeitepoche und als Einziger, dem wohl noch die meisten Vorgänge verraut sind, möchte ich für unserer Nachfolgenschaft festzuhalten suchen, was irdendwie noch erreichbar ist.

Ein guter Anfang kann jetzt aufgrund der vorliegenden Ausweise über unsere Großeltern und Eltern gemacht werden und diese gesagen folgendes:

Die Großeltern:

  • Melchior Anton Wessling aus Billerbeck, geboren 1808, getraut 1842 gestorben 1873 (65 J.)

  • Bernadine Sundermann als Dülmen-Leuste, geobren 1823, getraut 1842, gestorben 1861 (38 J.)

Die Eltern:

Johann Anton Tiefrenger in Dülmen-Daldrup, geboren 1846, getraut 1874, gestorben 1910 (64 J.)

  1. Ehe: Gertrug Lütke Uhlenbrock aus Lüdingh. Elvert, geboren 1843, getraut 1874, gesotrben 1881 (38 J.)

  2. Ehe: Maria Anna Peters aus Dülmen-Merfeld, geboren 1852, getraut 1882, gestoren 1904 (52 J.)

Welche Umstände die Großeltern geb. Wessling + Sundermann auf unserem Hofe in Daldrup derart vereint hat, daß sie hernach den Namen Wessling-Tiefrenger führen konnten, habe ich nicht erfahren können, vermutlich ist aber nach altem Brauch der Hofname ausschlaggebend gewesen.

Auffällig ist auch das frühe Ableben unserer Vorfahren, insbesondere das der Frauen.

Unseren Großeltern wurden drei Kinder geboren und zwar:

Johann Anton, unser späterer Vater

  • Elisabeth, spätere Frau Tork in Dülmen-Welte

  • Franziska, spätere Frau Brüggemann in Lüdinghaussen.

Die beiden Töchter Elisabeth und Franziska wurden von ihrem Vater (unserem Großvater) in allen Dingen vorgezogen und bevorzugt, wogegen der Sohn Anton (unser Vater) bei allen Gelegenheiten zurückgesetzt und benachteiligt wurde. So wurde auch um 1873 das Testament seitens des Großvaters derart zu ungunsten des Hoferben Anton erlassen, daß es in der Folgezeit die Existenz des Familiengutes gefährdete. Unser Vater hätte das Testament, weil es ungesetzlich war, anfechten sollen, aber dafür war er zu gutmütig und selbstlos. Lieber übernahm er untragbare Lasten, die seine Kräfte überstiegen, seine Gesundheit untergruben und ihn endlich zwangen, den Stammsitz „Auf dem Tie“ aufzugeben.

Nach dem Verkauf des Gutes in Daldrup übernahm unserer Vater in Altenberge ein Pachtgut (mit Wasserburg), das seinen Wünschen wohl entsprach. Es erwies sich jedoch bald, daß dieses Gut seit Jahren vollkommen herunter gewirtschaftet war und die Wiederherstellung eines ertragfähigen Zustandes manche Jahre und mehr Kapital erforderte, als unserem Vater zur Verfügung stand. Deshalb machte er sich von dem Pachtvertrag so schnell als möglich wieder los.

Wegen seiner stark angegriffenen Gesundheit und der eingetretenen allgemeinen Körperschwäche war unser Vater den schweren Anforderungen der Landwirtschaft nicht mehr gewachsen und bemühte er sich daher, sich in Nordwalte privat anzubauen. Die dazu gebotene Gelegenheit war nicht ungünstig, aber die vorhandenen Mittel reichten trotzdem zum Ankauf des Bauplatzes und der Bauausführung nicht aus.

Vaters erste Frau Gertrud war schon in siebten Jahr nach ihrer Verheiratung gestorben, so daß er der Familienverhältnisse wegen gezwungen war, ein zweites Mal und zwar mit Maria Anna Peters zu heiraten. Bevor diese Heirat jedoch erfolgen konnte, mußte er als damaliger Hofbesitzer nach dem derzeitigen Recht für meinen Bruder Anton und mich die gesetzlichen Erbbeträge nach dem damaligen Markwert bei der Städtischen Sparkasse in Dülmen einzahlen.

Als nun unserer Vater in Nordwalde bauen wollte, waren diese Erbbeträge inzwischen durch Zins und Zinseszins ziemlich verdoppelt und Anton und ich waren großjährig geworden. Da haben wir beide auf unsere Anpsrüche verzichtet und die Beträge von der Sparkasse an Vater auszahlen lassen. Nun konnte der Bauplatz gekauft und der Bau aufgeführt werden. Dafür sollten wir hernach Hypotheken eingetragen erhalten, wovon jedoch später nicht mehr die Rede gewesen ist.

Nach Fertigstellung des Neubaus um 1900 richteten unsere Eltern in demselben ein kleines Kolonialwarengeschäft ein und wurden die nötigen Waren dazu in Münster eingekauft. Unsere Vater war jedoch kein Kaufmann und unsere Mutter keine Kauffrau. So kam es, daß die Einnahmen aus dem Warenverkauf fortlaufend dem geldhungrigen Baugeschäft schon vor der Fälligkeit der Restbeträge zuflossen, die eingekauften Waren jedoch nicht bezahlt wurden, daher die ausverkauften Waren nicht wieder nachgeliefert wurden und deshalb das Geschäft schon bald wieder eingehen mußte.

Um jedoch der Famline den neuen Hausbesitz zu erhalten, sah ich mich gezwungen, für die Eltern die den Lieferanten in Münster eine Bürgschaft zu übernehmen und schließlich die Rechnungen zu bezahlen. Der verlorene Erbbetrag war ursprünglich für den Aufbau meines in Nordwalde begründeten Fachgeschäfts bestimmt; nun aber kam der durch das elterliche Geschäft erlittene Verlust noch dazu. Das waren die Ursachen, weshalb ich das junge Unternehmen in Nordwalde auf die Dauer nicht aufrecht halten konnte und verließ daher 1907 meine Heimat für immer.

Nach fünf Jahren konnte ich mir 1912 in Hannover durch die Begründung einer Spezialdruckerei für Registraturen wieder eine selbständige Existenz errichten, die sich zu Beginn des ersten Weltkrieges noch im Aufbau befand. Der erste Weltkrig mit meinem 3-jährigen Aufenthalt in Rusland hat jedoch das bis dahin Errungene restlos wieder zerstört. Mein damaliger fachunkundiger Sozius verkaufte während meiner Abwesenheit ohne mein Wissen die ganze Betriebseinrichtung weit unter dem wirklichen Wert, sodaß ich nach meiner Rückkehr nichts mehr davon vorfand. Hinzu kam dann noch die verheerende Inflation.

Infolgedessen entstand für mich abermals ein jahrelanger Kampf um eine neue Existenzgrundlage, die ich dann endlich in Berlin wieder zustande bringen konnte. Hier starb 1932 nach 19-jähriger Ehe meine erste Frau Karoline. Seit 1935 haben meine zweite Frau Anni und ich mit jahrelanger Ausdauer und gutem Erfolg einen angesehenen und wirklich leistungsfähigen Betrieb aufgebaut. Aufgrund unserer einzigartigen Speziallieferungen hatten wir von bedeutenden Werken fortwährend gut bezahlte Aufträge im Überfluß, sodaß andauernde Betriebsvergrößerungen unvermeidlich wurden.

Unsere Tochter Käte wude im Anfang des zweiten Weltkrieges mit Norbert Meister aus Münster, derzeit in Saybusch (in Galizien) bei uns in Berlin getraut und begaben sie sich dann wieder nach Saybusch. Etwa ein Jahr später wude Norbert zum Etappendienst im Osten und Westen eingerufen. Während des russischen Vormarsches mußte dann Käte in Saybusch alles zurücklassen und endete ihre Flucht bei den Verwandten in Wadersloh. Norbert geriet bei der Invasion im Westen zunächst in amerikanische und hernach in eine lebensgefährliche französische Gefangenschaft. Endlich aus dieser völlig erschöpft und geschwächt heimgekehrt, konnte er erst nach Jahren die in Münster total verbombte Bezitzung seines Vaters, den verstorbenen Professors Meister wieder aufbauen und mit Käte als ihr Domizil beziehen.

Der zweite Weltkrig wurde jedoch auch mir wieder zum Verhängnis. Am 3.2.1945 wurde unser Betrieb vollständig verbombt und blieb ich bei diesem größten aller Angriffe auf Berlin von 68 Luftschutzkeller-Insassen der einzige Überlebende. Gleichzeitig konnte auch meine Frau Anni aus den Trümmern des Patentamtes wie durch ein Wunder lebend geborgen werden. Nach dem Verlust unserer gesamten Habe erfuhren wir von allen unseren Verwandten in der Heimat dankenswerte Unterstützungen und Hilfeleistungen.

Mit meinen besten Geschäftsfreunden und größten Auftraggebern, den Inhabern des Standard-Konzerns in Berlin habe ich im Dezember 1944 nach den noch vorliegenden Briefen die folgenden Vereinbarungen abgeschlossen:

„Mein Betrieb sollte im Februar 1945 mit dem Standard-Konzern vereinigt und ich Mitglied des Konzern werden. Für diese Vereinigung sollte ich den damaligen Geschäftswert von 27000,– M erhalten. Diesen Betrag konnte ich ganz oder teilweise im Konzern stehen lassen oder abheben und sollte der im Geschäft belassene Betrag mit 5 Prozent verzinst werden. Für die Leitung der Konzern-Druckerei sollte ich auf Lebenszeit monatlich rund 1000,- M erhalten konnte ich für diese Anrechte auch auf einen anderen Fachmann übertragen. Gehalt und Zinsen würden ein Jahreseinkommen von 13000 bis 14000 Mark ergeben haben. Infolge der völligen Ausbombardierung meines Unternehmens konnten jedoch diese Vereinbarungen hernach nicht durchgeführt werden.

Die obigen Werte und Sonrechte sollten nach menschlichem Ermessen unserer Familie über Generrationen hinaus erhalten werden. Deshalb hatten Anni und ich gemeinsam beschlossen, die obigen Errungenschaften erblich auf unseren Neffen Paul als Fachmann zu übertragen. Hierdurch würde ihm, seiner Familie und den Nachfolgern eine gehobene Lebensexistenz entstanden sein. Die Vorsehung hat es anders gewollt.

Es gibt nun in diesem Bericht infolge meiner andauernden Abwesenheit von der Heimt noch manche Lücken auszufüllen. Die heimisch gebliebenen Geschwister und unsere Kinder finden hier recht anregende Gelegenheiten, meine etwaigen Irrtümer zu berichtigen, die fehlenden Vorgänge und die eigenen Erlebnisse hinzuzufügen und den Bericht durch einen Nachtrag zu vervollständigen. Es wird auch in Zukunft in unseren Familien laufend Vorgänge geben, die der Nachwelt überliefert werden sollten. Mögen sich daher aus unseren engen Kreisen immer wieder unvoreingenommene Logiker finden, die dieses Werk mit einem Echten Wirklichkeitssinn fortführen.

„Mein Wunsch ist, daß diese Berichte nach meinem Ableben von meiner Frau Anni und unseren Kindern Käte und Norbert, meinen Geschwistern, und von diesen den noch außerdem interessierten Nahverwandten zugänglich gemacht werden. Dann mögen allesamt um die Ergänzung dieser Berichte bemüht bleiben und sich gegenseitig helfen, aus diesen Anfängen für unsere Nachfolgenschaft eine ausführliche Familiengeschichte zu machen und deren Fortführung für alle Zeiten zu sichern“

 

gez. Heinrich Tiefrenger

 

Heinrich Tiefrenger, Oelde / Westfalen

 

Geboren 17.10.1879. Gestorben (handschriftlich ergänzt) 25.5.1961