Rudolf Schnieder
Man stelle sich vor:
Die Mutter erhält einen Feldbrief, in dem unter anderem auch Trost ausgesprochen wird:
„…. Möge die Gewißheit, daß Ihr Sohn sein Leben für die Größe und den Bestand von Volk, Führer u. Reich im Kampf gegen den Bolschewismus hingegeben hat, Ihnen ein Trost in dem schweren Leid sein….“
Welche Mutter würde das heute als Trost akzeptieren?
Die Kameraden haben dann meiner Großmutter ebenfalls einen Brief geschrieben:
Im Felde , d. 20.7.42
Liebe schwergeprüfte Mutter Schnieder!
Wir, einige Kameraden aus der Gruppe Ihres Sohnes, haben es uns mit diesen Zeilen zur Aufgabe gemacht, Ihnen über den Heldentod Ihres Sohnes nähere Einzelheiten zu berichten, mit der Annahme, daß die Kompanie hierüber wenig bei der traurigen Nachricht gesagt hat und Ihnen aber doch daran liegt, so traurig und unfaßbar wie es auch ist, genauers darüber zu erfahren.
Wir nehmen an, daß Rudolf Ihnen von unserem ersten Einsatztagen noch berichtet hat. Nach diesen Tagen, vom 17.6. bis 28.6 lagen wir in unseren Ausgangsstellungen, von der unsere ersten Angriffe ausgingen. Diese Tage brachten es mit sich, daß wir alle, die wir ja den ganzen Tag lang nichts gemacht hatten, oft und in Gedenken an die Heimat, wir über unsere Heimatorte und allem was damit zusammen hängt, sprachen. Und hierbei war es immer wieder Rudolfs ganzes Sinnen und Trachten, gesund auf seinem geliebten Hof zu kommen, zumal er in absehbarer Zeit damit rechnen konnte, in Urlaub zu fahren.
Seine weiteren Bemühungen um eine landwirtschaftliche Tätigkeit in der Ukraine sind Ihnen ja bekannt. Immer wieder stand ihm sein Hof als Ziel für die restlichen Urlaubs- und späteren Friedenstage.
Seine Ruhe und Besonnenheit, die wie schon in unserem früheren Kriegserlebnissen, und auch sonst alltäglich in ihm erlebten, ließen ihn als einen besonders zuverlässigen und hilfsbereiten Kameraden unter uns sein.
In diesen Ruhetagen ging der Angriff gut vorwärts und am 29.6. kam der Befehl, daß wir mit den Sturmgeschützen, denen wir zugeteilt waren, eine neue Ausgangsstellung beziehen mußten. Wir Pioniere mußten auf die Sturmgeschützen verteilt mitfahren, um zur gleichen Zeit an Ort und Stelle – der Artillerie Schlucht – sein. Zunächst ging die Fahrt aller glatt und ohne feindliches Feuer vorwärts. Vorbei an unserem alten Kampfplatz – dem Kazellenberg – vom Steintor her, und auch jetzt oft bei den Kampfhandlungen der Vortage ganz in unsere Hand kam. Dann hinter dem Kazellenberg konnte die Straße, die nach Sewastopol führt, vom Feinde eingesehen werden und lag daher ständig unter Artilleriebeschuß.
Trotz der schnellen Fahrt der Geschütze, geschah das Unfaßbare – der grausame und traurig Zufall – eine Granate schlug unmittelbar rechts von dem Geschütz ein. Rudolf wurde durch die Splitter am Oberkörper so getroffen, daß er sofort tot war. Sein gleiches Schicksal mußte der Obergefreite Huy, der vor Ihm auf dem Geschütz saß, und ein weiterer Kamarad teilen. Und heute erst erfuhren wir, daß noch ein weiterer Kamerad am gleichen Tage im Lazarett seinen schweren Verletzungen erlegen ist. Außerdem wurde noch ein Kamerad verwundet. Die unverletzten Kameraden waren sofort um alles bemüht, aber alle Hilfe konnte nichts mehr ausrichten. Rudolf und die anderen Kameraden wurden anschließend sofort nach hinten gebracht. Wir alle waren tief erschüttert über den Verlust unserer Kameraden und besonders den von Rudolf. Und heute noch sprechen wir oft darüber und können uns nicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß er nicht mehr in unserer Mitte weilen soll.
Liebe Mutter Schnieder, soweit man dabei für Sie von Trost überhaupt sprechen darf, können wir Ihnen aber als kleine tröstende Gewißheit sagen, daß Rudolf von der Kompanie auf einem Heldenfriedhof beim Dorfe Baldarin gut – und wie es schlichte Soldatensitte ist – bestattet wurde. Ringsum liegen schöne Wiesen und dieser Thalkessel wird von den Bergen umrahmt. Es ist landschaftlich schön gelegen und an dem Heldenfriedhof wird zur weiteren Verschönerung fleißig gearbeitet.
Sollte Ihnen die Kompanie ein Bild vom Grabe Ihres Sohnes noch nicht zugestellt haben, so werden wir besonders darauf achten, daß Ihnen dieses sofort zugestellt wird, denn alle Gräber sind photographiert worden, nur wird es mit der Fertigstellung der Bilder – wie alles in Rußland seine Zeit dauern.
In unserer Gruppe wird Rudolf als guter Kamerad weiter leben und wir werden seiner stets gedenken.
Ihnen aber möge der liebe Gott helfen, diesen schweren Schicksalsschlag zu tragen.
Mit Ihnen trauern wir Kameraden
seiner Gruppe
Wenn man das gelesen hat und sich dieses Schicksal noch einmal 60-millionenfach vorstellt, der Schmerz der Hinterbliebenen millionenfach multipliziert, wie kann man dann noch Kriege führen / führen wollen?